Eskalationsstufen nach Glasl – ein Beispiel

Vielleicht haben Sie bereits von den Eskalationsstufen nach Glasl gehört. Vielleicht aber auch nicht. Der Konfliktforscher Glasl hat untersucht, wie Konflikt eskalieren und welche Stufen sie hierbei nehmen. Dieses Model hilft dabei einzuordnen, wie weit ein Konflikt bereits fortgeschritten ist. Nach Glasl eskalieren Konflikte über folgende Stufen:

  • Stufe 1: Verhärtung
  • Stufe 2: Debatte und Polemik
  • Stufe 3: Taten statt Worte
  • Stufe 4: Images und Koalitionen
  • Stufe 5: Gesichtsverlust
  • Stufe 6: Drohstrategien
  • Stufe 7: Begrenzte Vernichtungsschläge
  • Stufe 8: Zersplitterung
  • Stufe 9: Gemeinsam in den Abgrund

 

Um die neun Stufen zu verdeutlichen, habe ich hier eine kleine (überzogene?) Geschichte im Büroalltag geschrieben, die die Eskalation ein wenig bildhafter machen.

Im Anschluss an die Geschichte habe ich zudem noch eine Punkte zusammengefasst, wie sich eine solche Eskalation, die nicht beachtet und behandelt wird, auf die Zusammenarbeit über diese beiden Personen hinaus bemerkbar macht.   

Die Geschichte: Der Kampf um den Fensterplatz

Die kleine Vorgeschichte:
Herr Schmidt und Frau Weber arbeiten seit drei Jahren im selben Großraumbüro. Herr Schmidt empfindet Frau Weber oft als etwas chaotisch und laut, während Frau Weber Herrn Schmidt als pedantisch und überkorrekt wahrnimmt. Es gab in der Vergangenheit kleinere Reibereien: Frau Weber vergaß öfter, Dokumente für Herrn Schmidt korrekt abzulegen, was ihn zu Mehrarbeit zwang. Herr Schmidt wiederum hat Frau Weber einmal vor versammelter Mannschaft auf einen kleinen Fehler in einer Präsentation hingewiesen, was sie als Bloßstellung empfand. Beide haben also schon ein „Konto“ an negativen Erfahrungen miteinander.

Der Auslöser: Ein Kollege verlässt das Unternehmen, und sein begehrter Fensterplatz wird frei. Beide, Herr Schmidt und Frau Weber, hätten diesen Platz gerne.

Stufe 1: Verhärtung

Herr Schmidt:
„Der Fensterplatz ist frei! Endlich etwas mehr Licht und Ruhe. Ich bin ja auch schon länger hier und brauche für meine konzentrierte Arbeit wirklich einen besseren Platz. Frau Weber wird das sicher verstehen, sie ist ja sowieso oft im Gespräch mit Kollegen oder am Telefon.“ Ich merke, wie ich mir Argumente zurechtlege, warum der Platz mir zusteht. Eine gewisse Anspannung baut sich auf, als ich sehe, dass auch sie ein Auge darauf geworfen hat.

Frau Weber:
„Oh, der Fensterplatz! Das wäre toll, dann könnte ich endlich mal lüften, wenn es stickig wird, und ein bisschen Tageslicht würde meiner Kreativität guttun. Herr Schmidt wird sich bestimmt nicht darum reißen, der sitzt ja eh am liebsten in seiner Ecke.“ Ich spüre einen leichten Stich, als ich bemerke, dass Herr Schmidt den Platz auch schon taxiert. Nach der Sache mit der Präsentation gönne ich ihm eigentlich nichts. 

Stufe 2: Debatte und Polemik

Herr Schmidt:
Bei der nächsten Teambesprechung bringe ich das Thema Fensterplatz zur Sprache. „Ich würde gerne den freien Fensterplatz übernehmen, da ich durch meine Seniorität und die Art meiner Aufgaben denke, dass er mir zusteht. Außerdem brauche ich mehr Ruhe als andere.“ Ich versuche, sachlich zu klingen, aber meine Verärgerung über ihre früheren Nachlässigkeiten schwingt mit.

Frau Weber:
„Moment mal, Herr Schmidt! Ich hätte den Platz auch sehr gerne. Ein bisschen frische Luft und Tageslicht würden uns allen guttun, nicht nur Ihnen. Und ‚Seniorität‘ ist ja wohl kein Argument, wenn es um Wohlbefinden am Arbeitsplatz geht. Außerdem haben Sie doch schon den ruhigsten Platz im Eck!“ Ich werde lauter als beabsichtigt. Seine arrogante Art, wie er immer alles für sich beansprucht, geht mir auf die Nerven.

Stufe 3: Taten statt Worte

Herr Schmidt:
Noch bevor eine offizielle Entscheidung gefallen ist, beginne ich, einige meiner persönlichen Gegenstände (eine Pflanze, einen Stiftehalter) auf den freien Schreibtisch zu stellen, um meinen Anspruch zu untermauern. „Fakten schaffen“, denke ich mir.

Frau Weber:
Als ich das sehe, bin ich empört. Ich stelle meine eigene Kaffeetasse und einen kleinen Kalender demonstrativ daneben. Soll er doch sehen, dass ich mich nicht so leicht geschlagen gebe. Dieses ständige Übergehen meiner Bedürfnisse reicht mir jetzt.

Stufe 4: Images und Koalitionen

Herr Schmidt:
Ich spreche mit unserem gemeinsamen Vorgesetzten, Herrn Dr. Lang, und deute an, dass Frau Webers Arbeitsweise (laut, oft abgelenkt) nicht zu dem konzentrationsfördernden Charakter eines Fensterplatzes passt. Ich erwähne auch diskret ihre früheren „kleineren Fehler“. Ich hoffe, Herr Dr. Lang sieht, dass ich die vernünftigere Wahl bin.

Frau Weber:
Ich suche das Gespräch mit einigen Kolleginnen, mit denen ich mich gut verstehe. Ich erzähle ihnen, wie unfair Herr Schmidt agiert und wie er immer versucht, sich Vorteile zu verschaffen. „Er behandelt mich, als wäre ich Luft“, sage ich. Vielleicht können sie ja ein gutes Wort für mich bei Herrn Dr. Lang einlegen oder zumindest meine Position verstehen.

Stufe 5: Gesichtsverlust

Herr Schmidt:
Herr Dr. Lang spricht mich auf die „Konfliktsituation“ an und mahnt zur Kollegialität. Er erwähnt, dass Frau Weber sich „unfair behandelt“ fühle. Das ist eine öffentliche Rüge für mich! Vor den anderen Kollegen, die das mitbekommen, fühle ich mich bloßgestellt. Frau Weber hat es geschafft, mich als den Buhmann darzustellen!

Frau Weber:
In einer E-Mail an das gesamte Team (Betreff: „Klärung der Platzsituation“) stellt Herr Schmidt die Situation so dar, als hätte ich unberechtigte Forderungen gestellt und den Teamfrieden gestört. Er kopiert dabei bewusst Herrn Dr. Lang. Das ist eine öffentliche Demütigung. Wie kann er nur so hinterhältig sein? Das lasse ich mir nicht gefallen!

Stufe 6: Drohstrategien

Herr Schmidt:
Ich deute gegenüber Herrn Dr. Lang an, dass ich meine Motivation und Leistungsbereitschaft „überdenken“ müsse, sollte Frau Weber den Platz bekommen. „Ich kann unter solchen Umständen, wo meine Erfahrung und mein Bedürfnis nach Ruhe ignoriert werden, nicht optimal arbeiten. Vielleicht sollte ich mich nach einer Umgebung umsehen, die meine Bedürfnisse ernster nimmt.“

Frau Weber:
Ich sage einer Kollegin, die es sicher an Herrn Dr. Lang weiterträgt: „Wenn Schmidt den Platz bekommt, nachdem er mich so behandelt hat, dann werde ich jede seiner Anfragen nur noch nach strikter Vorschrift und ohne jegliches Entgegenkommen bearbeiten. Und meine Überstundenbereitschaft kann er dann auch vergessen.“ 

Stufe 7: Begrenzte Vernichtungsschläge

Herr Schmidt:
Als Frau Weber mich um eine dringende Information für ein wichtiges Projekt bittet, lasse ich sie absichtlich warten und gebe die Information erst so spät weiter, dass sie unter enormen Zeitdruck gerät. Soll sie doch sehen, wie es ist, wenn man nicht kooperiert.

Frau Weber:
Ich „vergesse“, Herrn Schmidt zu einer wichtigen Besprechung einzuladen, bei der es um ein Thema geht, das auch seine Projekte betrifft. Als er davon erfährt, ist er sichtlich verärgert und schlecht vorbereitet. Ein kleiner Denkzettel für seine Arroganz.

Stufe 8: Zersplitterung

Herr Schmidt:
Die direkte Kommunikation mit Frau Weber ist vollständig eingestellt. Ich arbeite aktiv daran, ihre Projekte zu behindern, indem ich Ressourcen blockiere oder Informationen zurückhalte. Das Team ist gespalten, einige meiden uns beide. Mir ist es mittlerweile egal, was mit ihren Projekten passiert, Hauptsache, sie scheitert.

Frau Weber:
Ich rede schlecht über Herrn Schmidt bei jeder Gelegenheit, auch abteilungsübergreifend. Ich versuche, ihn bei Vorgesetzten und Kollegen zu diskreditieren. Gemeinsame Aufgaben lehne ich rundweg ab. Dieser Mann soll spüren, dass er sich mit der Falschen angelegt hat. Das Wohl der Abteilung ist mir in diesem Punkt zweitrangig.

Stufe 9: Gemeinsam in den Abgrund

Herr Schmidt:
Das Betriebsklima ist vergiftet. Wichtige gemeinsame Projekte verzögern sich massiv oder scheitern, weil wir uns gegenseitig blockieren. Die Teamleistung bricht ein. Herr Dr. Lang ist verzweifelt und droht mit personellen Konsequenzen für beide. Meine Reputation im Unternehmen ist schwer beschädigt. Der Fensterplatz ist mir egal, es geht nur noch darum, dass sie nicht gewinnt, selbst wenn ich dabei untergehe.

Frau Weber:
Kunden beschweren sich über Verzögerungen und die schlechte Stimmung, die sie bei Telefonaten wahrnehmen. Die Fluktuation im Team steigt, weil andere Kollegen die Situation nicht mehr ertragen. Ich bin ausgebrannt und frustriert. Die Kündigung liegt schon fast auf meinem Schreibtisch. Es ist alles eskaliert. Der Fensterplatz war es nicht wert, aber jetzt gibt es kein Zurück mehr.

 

Auswirkungen eines nicht gelösten Konfliktes auf das Arbeitsumfeld und die Zusammenarbeit:

  • Vergiftetes Betriebsklima: Das gesamte Team leidet unter der permanenten Spannung. Misstrauen und Angst prägen den Alltag.
  • Zusammenbruch der Teamarbeit: Direkte Kommunikation zwischen den Konfliktparteien findet nicht mehr statt. Informationen werden zurückgehalten oder manipuliert.
  • Frontenbildung: Andere Kollegen werden gezwungen, Partei zu ergreifen oder versuchen, sich herauszuhalten, was die Isolation der Konfliktparteien verstärkt und das Team weiter spaltet.
  • Demotivation: Die Freude an der Arbeit geht verloren, nicht nur bei den Beteiligten, sondern auch bei unbeteiligten Kollegen, die die negative Atmosphäre täglich erleben.

 

Auswirkungen eines nicht gelösten Konfliktes auf die Kollegen und Kolleginnen:

  • Belastung: Kollegen fühlen sich gestresst und überfordert, da sie entweder zwischen die Fronten geraten oder zusätzliche Arbeit durch die Dysfunktionalität der Konfliktparteien übernehmen müssen.
  • Fluchtverhalten: Einige Kollegen könnten versuchen, das Team oder sogar das Unternehmen zu verlassen, um der negativen Umgebung zu entkommen.
  • Verlust von Solidarität: Das „Wir-Gefühl“ im Team wird zerstört.

 

Wirtschaftliche Konsequenzen eines nicht gelösten Konfliktes:

  • Produktivitätsverlust: Die Energie der Konfliktparteien (und teils des Umfelds) fließt in den Konflikt statt in die Arbeit. Termine werden nicht eingehalten, Qualität leidet.
  • Fehlentscheidungen: Durch zurückgehaltene oder manipulierte Informationen können falsche strategische oder operative Entscheidungen getroffen werden.
  • Kosten durch Eskalation: Zeit von Führungskräften und ggf. der Personalabteilung wird für Konfliktmanagement gebunden. Im schlimmsten Fall entstehen Kosten durch Mediation, Abfindungen oder gerichtliche Auseinandersetzungen.
  • Kundenunzufriedenheit: Wenn Projekte scheitern oder sich verzögern, kann dies zu Unzufriedenheit bei Kunden führen, bis hin zum Verlust von Aufträgen und Kunden.
  • Imageverlust: Interne Konflikte können nach außen dringen und das Image des Unternehmens als Arbeitgeber oder Geschäftspartner beschädigen.
  • Fluktuationskosten: Das Ersetzen von Mitarbeitern, die aufgrund des Konflikts kündigen, verursacht erhebliche Kosten (Rekrutierung, Einarbeitung).

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